Gewalt tritt in allen Gesellschaftsschichten, in allen Altersgruppen und in den verschiedensten Ausprägungen auf. Sie hat meist eine Vorgeschichte und meistens kennen sich Opfer und Täter. Es gibt also einen Entstehungsprozess, in dem viele Einrichtungen und Personen, beginnend bei Familie, Schule, Arzt und Arbeitsplatz bis hin zu Vereinen und NGOs, die Einblick in die Verhältnisse und somit auch die Möglichkeit haben, Entwicklungen zu erkennen und in ihrem Wirkungskreis zu handeln. Es liegt damit in der Verantwortung unserer gesamten Gesellschaft – auch der Polizei – die Ursachen von Gewalt zu erkennen und so Gewalttaten zu verhindern.
Die EU‑weite Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) über Gewalt gegen Frauen, die 2014 in Österreich veröffentlicht wurde, stellt in diesem Zusammenhang die größte repräsentative Studie dar, die international zum Problem Gewalt gegen Frauen jemals erstellt wurde. In den 12 Monaten vor der Befragung haben geschätzte 13 Millionen Frauen EU‑weit körperliche Gewalt erfahren. Dies entspricht 7 % der Frauen zwischen 18 und 74 Jahren. Weiters haben in den 12 Monaten vor der Befragung schätzungsweise 3,7 Millionen Frauen EU‑weit sexuelle Gewalt erfahren, was 2 % der Frauen entspricht. Eine von 20 Frauen (5 %) ist seit ihrem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. Jede dritte Frau (33 %) hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Österreich schneidet unter den 28 EU-Staaten im Vergleich relativ positiv ab: Der Anteil von Frauen, die körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren mussten, liegt in Österreich bei 20 Prozent – um 13 Prozent niedriger als im EU-Durchschnitt. Niedriger, wenn auch nicht so ausgeprägt, ist etwa auch die Häufigkeit körperlicher, sexueller und psychischer Gewalterfahrungen in der Kindheit (EU-Durchschnitt: 35 Prozent, Österreich: 31 Prozent), wobei hier die Häufigkeit physischer Übergriffe in der Kindheit mit 27 Prozent gleich hoch wie EU-weit ist.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Bekämpfung von Gewalt insbesondere gegen Frauen völlig zurecht hohe Priorität für das BMI einnimmt. Die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Gewalt stellen ein umfassendes Problem dar, das die ganze Gesellschaft betrifft und nicht nur eine Aufgabe der Exekutive sein darf. Da eine übergreifende Zusammenarbeit aller Akteure unerlässlich ist, müssen die Ziele und Strategien, die Prozesse und die Strukturen sowie die Fähigkeiten und die Mittel der betreffenden Akteure unter Einbeziehung der Bürger systematisch aufeinander abgestimmt, miteinander verbunden und aktiv gestaltet werden.
Österreich zeichnet sich durch ein enges soziales Netz aus, das zahlreiche Hilfestellungen bietet. Durch ein noch engeres Zusammenspiel aller Akteure soll es gelingen, Gewalt nicht ungesehen zu lassen, etwaige Anzeichen frühzeitig zu erkennen und die richtigen Spezialistinnen und Spezialisten einzubeziehen. Auch für die Polizei gilt es eine noch größere Sensibilisierung für das Erkennen und den richtigen Umgang mit Gewalt zu erreichen. Die Arbeit der Polizei ist ein Puzzlestück in dem Gesamtkonzept zur Verhinderung von Gewalt. Der Know-how- und Wissenstransfer bietet große Chancen, muss aber sichergestellt werden. Oftmals erhält die Polizei erst dann Einblick in die Situation, wenn die Tat begangen und Opfer und Täter ihre Rolle eingenommen haben. Das Betretungsverbot als zentrales Instrument zum Schutz von Frauen vor Gewalt im sozialen Naheverhältnis setzt hier an. Die Wirksamkeit des Betretungsverbots konnte 2015 annähernd auf dem Niveau des Vorjahres gehalten, das Ziel überwiegend erreicht werden. Gefährder konnten zu über 92% nachhaltig ferngehalten werden.
Der Weg des Innenressorts bei der Zurückdrängung von Gewalt gegen Frauen, Minderjährige sowie Seniorinnen und Senioren auf Prävention zu setzen, wurde 2015 fortgesetzt. Es wurden erneut über 3.800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von 151 Präventionsveranstaltungen im Bereich „Gewalt gegen Frauen“ erreicht, über 5.700 im Bereich „Gewalt gegen Ältere Menschen“, dazu über 33.500 Kinder. Dabei wurden über 4.300 spezifische Präventionsveranstaltungen für die Risikogruppen Minderjährige und SeniorInnen abgehalten. Sämtliche Zielvorgaben im Präventionsbereich wurden somit überplanmäßig erreicht.
Zusätzlich wurden seitens des BMI erfolgreiche Projekte und Maßnahmen zur Zurückdrängung von Gewalt gestartet bzw. durchgeführt. Mit dem „Bündnis gegen Gewalt“ wurde im Bundeskriminalamt eine Ansprechstelle geschaffen, deren zentrale Aufgaben Vernetzung und Austausch sind. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Jugendliche und Kinder gelegt. Im Rahmen des im Projekt „Komplexe Opferarbeit“ entwickelten Prozesses steht die Sensibilisierung der Polizeibeamten im Mittelpunkt, um die Vernachlässigung oder Gewalt gegen Kinder und Jugendliche rascher erkennen zu können. Aufklärung zu diesem sensiblen und oft tabuisierten Thema findet somit sehr umfangreich statt. Gewaltsituationen sollen so von vornherein verhindert und Lösungen angeboten werden. Das Erfordernis von repressiven Maßnahmen soll damit mittelfristig gesenkt werden.
Aus der Kriminalstatistik können folgende Ergebnisse ergänzend angeführt werden:
• Bei 61,5 Prozent der begangenen Taten (entspricht 20.560 Fällen) gab es eine Beziehung zwischen Täter und Opfer bei Gewaltdelikten.
• Nach dem historisch niedrigen Niveau des Jahres 2014 ist die Zahl der Anzeigen bei der vorsätzlichen Tötung um 28 Fälle auf 135 oder 26,2 Prozent gestiegen. 39 Taten wurden vollendet, bei 96 blieb es beim Versuch. Alle vollendeten bzw. 93 der 96 versuchten Tötungsdelikte konnten aufgeklärt werden. Dies bedeutet eine sehr hohe Aufklärungsquote von rund 97,8 Prozent.
• Auch die Zahl der vorsätzlichen Körperverletzungen ist 2015 leicht gestiegen. Waren es 2014 noch historisch niedrige 37.659 Anzeigen, so stieg die Zahl um 0,4 Prozent auf 37.822 Anzeigen.
• Die Zahl der Anzeigen wegen Delikten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung ist gesunken: von 2.418 im Jahr 2014 um 1,7 Prozent auf 2.376 im Jahr 2015.
Das BMI wird ab 2016 neben der Wirksamkeit des Betretungsverbots weitere Kennzahlen zur Messung der Zielerreichung vorlegen.